Mir wird häufig gesagt, dass ich ein Sonnenschein bin. Immer positiv, immer gut gelaunt. Bei Chrissi ist das Glas immer halb voll, Chrissi hat immer einen Rat, Chrissi tanzt im Regen. Das mag an der Oberfläche so wirken, stimmt aber nicht. Ohne Schirm gehe ich eigentlich nie aus dem Haus, und manchmal ist mein Glas schon von der Tischkante gefallen, bevor ich einen Schluck daraus trinken konnte. Manchmal bin ich ein Sonnenschein, weil ich ein Sonnenschein sein muss, weil ich das Gefühl habe, mich über mein Sonnenschein-Gemüt definiert zu haben. Sonnenscheinmenschen müssen sich für Regen rechtfertigen. Deshalb regnet es bei ihnen nicht. Sonnenscheinmenschen sind Kornblumen auf einem Mohnfeld, Regen lässt die meisten von ihnen unterhalb der Knospe abknicken, bei Sturm sterben sie.
Ich glaube das wird ein sehr persönlicher Text. Mich beschäftigt gerade so viel, dass ich seit Wochen nicht schreiben kann. Es fühlt sich an, als hätten sich meine Gedankenstränge verkeilt und erstickten dabei meine Kreativität in ihrem Wurzelbett aus ungeklärten Gefühlen, aus dem Zweige der Verwirrung erwachsen. Und Verzweiflungsblüten, weil es schwer auszuhalten ist, nicht spüren zu können, was genau man fühlt und was man will. Ich will mich nicht treiben lassen, in dem gefühlslosen Schwamm voll intensivem Nichts, deshalb versuche ich, meinen Gefühlen Raum zu geben, sie nicht wegzustoßen, sondern anzunehmen, um sie auszuhalten und nicht zu verdrängen, um diese anstrengende Emotionalität zu überwinden.
Ich denke viel über Gefühle nach. Das war schon immer so. Ich bin ziemlich sensibel, nicht in dem ‚Mimöschen-Sinne‘ (danke Mama, für den Neologismus). Ich weine viel, aber nicht wegen abgebrochenen Bleistiften oder Hundewelpen, eher, weil mein Wahrnehmungsfilter in undefinierbaren Zeitabständen platzt und sich die Last der Welt über meinem Kopf erbricht. So fühlt es sich zumindest an. Kann man an geistiger Problemkotze ersticken? Wenn nicht, dann sicherlich an dem permanenten Energietempowettbewerb, der in meinem Kopf stattfindet. Ich will mich meiner Freundesblase, meine Arbeitskoleg*innen anpassen. In meinem Umfeld scheinen alle so viel Energie zu haben, endlos Energie, einen Schlaraffenland-Energiespeicher. Ich nicht. Meine wachen, aufmerksamen Fühler sind Energiefresser, ich muss sie einziehen, um mithalten zu können, schlafend durch den Alltag, um nicht müde zu werden. Ich erfülle den emotionalen-Mainstream Anspruch nicht. Obwohl ich in fast allem schneller bin als der Durchschnitt, trottet Emotio im Schenckentempo hinter Ratio, meistens läuft er rückwärts oder falsch. "Du bist ein emotionaler Krüppel", hat mein Kumpel am Wochenende zu mir gesagt. Ich frage mich, ob sein vorwurfsvoller Unterton an unserem exzessiven Alkoholverhalten lag, oder weil er enttäuscht ist, dass meine Gefühle im ambivalenten Dreieck Himmel und Hölle spielen. Während ich mich zehn Mal am Tag verknalle, weiß ich nicht, ob ich richtige Liebe überhaupt spüren kann. Während ich die Berliner ‚alles-cool‘ Mentalität lebe, denke ich über zwischenmenschliche Begegnungen noch Tage lang nach. Während ich mir eine Beziehung wünsche, verteufle ich Monogamie als festgefahrenes Scheiß-Konzept, mehr aus Orientierungslosigkeit als aus Überzeugung. Ich bin ständig unterwegs während ich chronisch alleine bin. „Du bist zum Beispiel introvertiert“, sagt meine beste Freundin vor kurzem zu mir, ich spucke meinen Kaffee fast über den weißen Tisch in der Mensa. „Du bist die erste, die das sagt“, sage ich. „Du schöpfst deine Energie aus Zeit mit dir selbst, nicht mit anderen“, sagt sie. „Ich kenne niemanden, der so gerne alleine ist.“ Sie hat recht. Ich bin gerne alleine. Ich entscheide mich aktiv für Verabredungen mit mir selbst - no one cares if you go to the party -, um Kraft zu sammeln , für den Energiemarathon Leben. Ich frage mich, ob alle Menschen, die unter chronischem Geselligkeitszwang leiden, aus Selbstkonfrontationsangst flüchten, oder tatsächlich keinen Profit aus 'me-time' ziehen. Findet Selbstreflektion und Rezentralisation in der Ubahn statt? Liebe Energiebündelkönig*innen, die Kraft aus Gesellschaft ziehen, wie Bienen Honig aus Blumen. Wie macht ihr das? Ich bin nicht nur neugiereig, sondern tatsächlich ein bisschen neidisch.
Ich denke an Sonnenscheinmenschen und meine eigentliche Textidee. Ich vergesse die Pointe beim Schreiben, Aristoteles wartet auf die Katharsis. Zwanghafte Kreativität ist wie zwanghaftes Strahlen: Membranundurchlässig hinter einem grauen Schleier, an einem Tisch sitzend mit Selbsthass, Neid und wütender Naivität. Gleichgültigkeit und Trotz warten noch auf den Bus.
„Niemand erwartet, dass es dir immer gut geht“, sagt mein Arbeitskollege auf einer Party zu mir, bei der ich weinen muss, als wäre mein Hund gestorben, ohne Grund. Es ist meine eigene Party und ich bin überfordert mit all den Menschen, die meine Freund*innen sind, die von mir erwarten, eine gute Zeit zu haben, weil sie mich kennen, weil ich immer eine gute Zeit habe, ich bin ein Sonnenscheinmensch. Ich nicke meinem Arbeitskollegen zu. Und ich verspreche ihm zu versuchen, negative Gefühle mit einem Lachen nicht mehr in positiven Enthusiasmus zu transformieren, das ist nämlich sehr anstrengend und funktioniert nur bedingt. Ich schreibe einen Zettel, nicht wirklich, aber in meinem Kopf, den ich immer mit mir herumtrage, nicht wirklich, aber in meinem Kopf: Schlechte Gefühle sind gute Gefühle. Ich komme mir vor wie in einem Selbsthilfeseminar ohne Gruppenleiterin und Teilnehmende. Ich bin mein eigenes Selbsthilfeseminar. Ich stehe im Regen. Schlechte Gefühle sind gute Gefühle, sage ich laut und muss grinsen, weil ich an meiner Stimmlage erkenne, dass ich mich selbst überzeugen möchte, grinse, weil ich mich so albern wie cool finde. Ich schließe die Augen und versuche zu verstehen, was ich gerade fühle. Ich gebe meinen Gefühlen ein Gesicht. Ich lade sie ein, mit mir zu kommunizieren. Hilfe, bin ich Eso, denke ich. Aber meine Gruppenleiterin, die ich selbst bin, verweist auf Ernsthaftigkeit. Ich konzentriere mich, Wut meldet sich als erstes. Sie hasst mich, weil ich wegen meines Knies keinen Sport machen kann. Wut ist dick und unglücklich. Sie hat so viel im Kopf, dass sie ständig Migräneanfälle bekommt. Außerdem hat sie keinen Bock, so viel zu arbeiten, schimpft sie. Sie hasst mich für meine Wochenendschichten. Verzweiflung flüstert, dass sie die Bachelorarbeit niemals schafft, Angst stimmt ihr zu, die beiden schreien jetzt, Trauer gesellt sich in den Chor der verlorenen Seelen und heult. Sie hat Heim- und Fernweh. Sie will gehen und bleiben, sie will so viel und kann so wenig, weil sie in einer Langzeitbeziehung mit Angst lebt. Ich atme tief durch. Anstrengend, denke ich. Ich bin wütend auf diese Gefühle, die unnötig sind und unbegründet, irgendwie. Wird schon, sagt Mrs Cool, die alles zusammenhält, bis sie zusammenbricht. Ich schüttele den Kopf. Ich muss mich immer wieder selbst daran erinnern, dass es ein Geschenk ist, so viel zu fühlen. Dass ich dankbar sein darf, dass meine Emotionalität kein monotoner Einheitsbrei, sondern ein Blumenbeet ist. Dass ich auf meine Gefühle hören könnte, wenn ich mir den Raum geben würde, weil meine Gefühle nicht taub-stumm und dement sind. Ich muss sie davor schützen. Alle Gefühle werden irgendwann taub-stumm und dement, wenn man sie immer wieder verdrängt. So wie Menschen krank werden, wenn man sie langfristig vernachlässigt. Alle Gefühle sind gute Gefühle, denke ich. Yes. Ich creme mein entzündetes Knie ein und trage ab heute eine Bandage, zur Entlastung. Ich schreibe einen Zeitplan für meine Bachelorarbeit. Ich schreibe ein Schlaflied für Angst: Nichts ist für immer, ich gehe um wiederzukommen. Es geht mir besser, obwohl ich immernoch das Gefühl habe zu leiden. Leiden sei der schmerzhafte Zustand zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen dem Ort wo man ist und dort, wo man hinwill. Oder so ähnlich, habe ich mal gehört. Ich glaube auch, dass Leiden gut und wichtig ist, weil nur im Zustand tiefster Demut und emotionalem Nichts Platz für Entwicklung ist. Vielleicht bin ich deshalb so gerne alleine. Weil ich länger brauche, um Platz zu machen. Und das ist okay.
Je wissenschaftlich-strukturierter ich tagsüber arbeite (ja besorgte Familie, meine Bachelorarbeit läuft), desto vielschichtig-verwirrender werden meine Texte, die ich nachts schreibe. Normalerweise muss für eine solche Gedankenphilosophie mein Tagebuch herhalten. Ich muss mich zwingen eben auch solche Texte zu veröffentlichen, weil ich nicht nur mir, sondern allen zeigen will, dass auch unperfektes wichtig ist. Dass sich alles auszusprechen lohnt und ersnt genommen werden darf.
Die Sonne scheint nur so kräftig, wie sie dem Regen erlaubt, die Natur mit Wasser zu versorgen. Tote Pflanzen kann man nicht wässern, Regen ist Lebenselexier eines jeden wild wachsenden Blumenbeetes.
Foto: Unsplash// Ben Sweet
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